Quelle: kungfutius.blog.de |
Mein
letzter Eintrag liegt schon ein wenig zurück. Das liegt nicht daran, dass alles
bereits gesagt wäre – ganz im Gegenteil. Eine Begegnung mit der
Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin Seyran Ates öffnete mir Türen zu neuen Gedankengängen und einer neuen
Sichtweise auf das Kopftuch. Viel Zeit habe ich damit verbracht, meine eigene
Ansicht und die Motivation hinter diesem Weltbild zu hinterfragen und justierte
so meinen Standpunkt nicht gänzlich neu, aber doch deutlich anders – ohne Frau
Ates Einstellung unreflektiert zu übernehmen.
Das entscheidende Moment für mich ist
die Erkenntnis, dass ich zwei Dinge nicht sauber voneinander getrennt bzw. mir
eine Frage selbst nicht ausreichend klar beantwortet habe: Die Frage nach dem
Warum. Warum bin ich für das Tragen eines Kopftuches? Ich habe dies in den
vorangegangenen Texten und in den Social Media Kanälen zwar bereits detailliert
begründet, mich aber darin auch verloren. Denn: Stark heruntergebrochen beruht
meine Einstellung auf dem Weltverständnis des Credos, alle Menschen sind
gleich. Ich verabscheue Rassismus und die Diskriminierung von Menschen und
Gruppen, die nicht ins eigene Weltbild passen möchte oder Befindlichkeiten
stören. Jeder muss unumstößlich das Recht haben, tun und lassen zu können, was
er möchte. Das gilt zumindest solange, wie kein anderer seelisch, körperlich
oder in seinem Recht verletzt wird. Dafür stehe ich ein und dafür kämpfe ich.
Ich bin also gar nicht für das Kopftuch,
sondern gegen Diskriminierung. Und deshalb sollen Frauen in Deutschland das
Kopftuch tragen dürfen; natürlich unter der Prämisse, wenn sie es denn
möchten. So weit so gut. Zu Ende gedacht? Leider nein.
Ich habe bereits ausgeführt, dass in
Deutschland besonders in den Städten das Anlegen eines Kopftuches oftmals eine
selbstbestimmte Handlung ist. Das glaube ich immer noch, auch wenn ich mir über
die Ausnahmen durchaus im Klaren bin. Dennoch impliziert das Kopftuch folgende
Botschaft über die Trägerin: Ich bin eine Frau, ich bin „das andere
Geschlecht“, ich bin schwach und muss meine Haare als sexuellen Anreiz vor dem
Mann verbergen. Am 3. Januar schrieb ich: „[…] ‚Wir tragen ein Kopftuch zum Schutz. Es gibt mir Sicherheit.
Ich verstehe nicht, was daran falsch sein soll.‘ Zu behaupten, dass solche
sexuellen Übergriffe in Deutschland zwar möglich sind und vorkommen, jedoch
keineswegs vergleichbar mit denen in Pakistan, Ägypten oder Iran sind, würde
von der überhöhten Einschätzung der „zivilisierten“ westlichen Kultur zeugen,
die sie bereits zu Kolonialzeiten zur Schau gestellt hat. Auch in Deutschland
herrscht in vielen Köpfen noch die Höherstellung des Mannes gegenüber der Frau
vor und auch hier glauben noch zu viele, Mann dürfe sich nehmen was gefällt.“
Bislang
kam ich zu dem Schluss, dass dieses empfundene Schutzgefühl doch ein legitimer
Grund sei. Ich habe mich geirrt. Meine Argumentation beruht auf der Ansicht,
dass nicht die Frau mit dem Kopftuch zu hinterfragen ist, sondern die
Gesellschaft, in der ein solcher Schutz überhaupt erst benötigt wird. Das
stimmt und davon weiche ich nicht ab. Ates sieht das genauso, zieht aber andere Konsequenzen. Sie fasst das Dilemma so zusammen: „Das Kopftuch […]
steht nicht für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Da mögen sich die
"Feministinnen" mit Kopftuch noch so verbiegen in ihrer
Argumentation; sie können es noch so modern und bunt binden und sich darunter
noch so erotisch und sexy kleiden. Das Kopftuch ist die Flagge der Trennung der
Geschlechter und der "Andersartigkeit", sprich Minderwertigkeit der
Frauen. Es teilt Mädchen und Frauen in gute und schlechte. Da hilft es auch
nicht, wenn die Kopftuchträgerinnen immer wieder runter beten, Männer und
Frauen seien vor Gott gleichwertig. Gleichwertig bedeutet eben nicht
gleichberechtigt.“ Das Patriarchat mit den Waffen der
Männer zu bekämpfen, ist also genauso wirksam, wie dem Lungenkrebs mit einer
Schachtel Zigaretten am Tag trotzen zu wollen: vollkommen wirkungslos und
inkonsequent.
Viele Menschen in Deutschland kritisieren das Kopftuch, weil
es „aus dem Islam“ stammt, weil sie sich von der „fremden“ anderen Kultur
bedroht und sich selbst zurückgesetzt fühlen. Einer solchen Diskriminierung
entgegenstellend, verlor ich die Argumente aus den Augen, die wirklich gegen
ein Kopftuch sprechen: Die Anerkennung der Frau als dem Mann gleichwertiges
Geschlecht, sowohl in der Religion, als auch in der Gesellschaft. Das ist natürlich
allgemein gültig und nicht allein auf den Islam gemünzt. Aber was bringt mir die
Erkenntnis? Reiße ich zukünftig den Frauen ihre Kopftücher vom Haupt? Mitnichten.
Solange christliche Krankenhäuser die Untersuchung von Vergewaltigungsopfern ablehnen,
Frauen die Priesterweihe verwehrt wird, Empfängnisverhütung geächtet und geschiedene,
unverheiratete Frauen ausgeschlossen und benachteiligt werden, hat keiner ein
Recht, auf den Islam und das Kopftuch zu zeigen.
Und nun? Alles beim Alten belassen und über die Missstände hinwegschauen, weil auch die eigene Kultur in einer gleichen Schieflage ist? Keinesfalls! Das Kopftuch ist "nur" ein weiteres Puzzlestück patriarchalischer Strukturen, die nicht nur in der Religion, sondern auch in der Gesellschaft gegeben sind. Damit ist es nicht nur Teil einer religiösen, sondern auch einer politischen Debatte. Auf dieser Basis und mit deren Mitteln gilt es einzugreifen und die Fesseln zu lösen – in der Religion, der Gesellschaft, in den Köpfen der Menschen. Wenn das erreicht ist, stellt sich die Frage nach einem Kopftuchverbot nicht mehr.
Und nun? Alles beim Alten belassen und über die Missstände hinwegschauen, weil auch die eigene Kultur in einer gleichen Schieflage ist? Keinesfalls! Das Kopftuch ist "nur" ein weiteres Puzzlestück patriarchalischer Strukturen, die nicht nur in der Religion, sondern auch in der Gesellschaft gegeben sind. Damit ist es nicht nur Teil einer religiösen, sondern auch einer politischen Debatte. Auf dieser Basis und mit deren Mitteln gilt es einzugreifen und die Fesseln zu lösen – in der Religion, der Gesellschaft, in den Köpfen der Menschen. Wenn das erreicht ist, stellt sich die Frage nach einem Kopftuchverbot nicht mehr.