Nehmen
wir an, Ihre Nachbarn streiten sich. Im Nachbarhaus oder in der Wohnung über Ihnen
streiten sie sich so lautstark, dass an ein Revival vom legendären ‚Rosenkrieg‘
zu denken ist und man sich um Mann, Frau und Kronleuchter (vom Hund ganz zu
schweigen) ernsthaft Sorgen machen muss. Nehmen wir an, dass Sie zu dem Teil
der Bevölkerung gehören, die Zivilcourage besitzen (und das ist nach
Selbstauskunft ja eigentlich jeder). Was tun Sie nun also als rechtsschaffender,
pflichtbewusster und ruheliebender Bürger, der Sie sind? Richtig, Sie drehen
die Musik auf. Sollte das nicht helfen, versuchen Sie – je nach Beziehungsstand
zu den Nachbarn – helfend einzugreifen oder nehmen panisch das Telefon in die Hand und
rufen die Polizei. Wer gar nicht handelt, kann später immer noch als
betroffener, aber nichts geahnt und gehört habender Bürger einen kleinen Gastauftritt in en
RTL-News erhaschen, das sind aber immer die anderen. Dabei stellt Zivilcourage die Grundlage für das Leben der Menschen in einer
freiheitlichen Gesellschaft ohne Angst vor Gewalt.
Nun
steht Syrien nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zu uns. Und auch die Analogie
zum Rosenkrieg hinkt. Dennoch zeigt es auf, wo die Grenzen unserer Nächstenliebe
liegen – an den Landesgrenzen Deutschlands . Uns erreichen Bilder aus Syrien sowie
anderen Regionen der Welt. Nie waren wir – den Medien sei Dank – in
Friedenszeiten näher an dem Elend anderer Menschen dran, und dennoch waren wir
wohl nie weiter weg. Wir ereifern uns zwar, wir zeigen Empathie und fluchen
über die verdorbene Welt. Kurzzeitig. Darauf ein lassen wir uns nicht. Denn das
würde zwingend ein Handeln fordern. „Zivilcouragiert
handelt, wer bereit ist, trotz drohender Nachteile für die eigene Person, als
Einzelner (seltener als Mitglied einer Gruppe) einzutreten für die Wahrung
humaner und demokratischer Werte […]“, schreibt Wikipedia. Aber
was kann man schon tun? Versteckt hinter der Hilflosigkeit des kleinen Bürgers gibt
es ab und an einen Aufschrei, eine Demo vielleicht – kaum größer als eine Hochzeitsgesellschaft.
Große Taten sind spätestens seit dem Irakkrieg vorbei. Wir zeigen uns
solidarisch mit dem Volk, Asyl gewähren wollen wir aber nicht. Eine militärische
Intervention kommt für die meisten nicht in Frage. Der deutsche Soldat kämpft
für deutsche Leben bitteschön, sonst wäre er ja kein deutscher Soldat.
Die
Ärzte sangen einst „Gewalt erzeugt Gegengewalt, hat man dir das nicht erklärt“.
Als Homo sapiens, der sich nicht nur durch seinen aufrechten Gang, sondern besonders
durch seine Gabe der Selbstreflexion aus der Masse der Lebewesen heraushebt,
sollte man dies natürlich nicht als Naturgesetz verstehen und danach handeln. Ein
Eingreifen in konfliktbehaftete Regionen muss gut überlegt werden. Allem voran
müssen unweigerlich diplomatische Verhandlungen und gegebenenfalls politische
und wirtschaftliche Sanktionen erfolgen. Der Konflikt in Syrien hat diese
Ebenen aber schon längst verlassen. Spätestens seit dem Einsatz von chemischen
Waffen darf die Welt nicht tatenlos zusehen. Dabei ist es egal, ob das Giftgas
von Assads Regime oder von den Rebellen eingesetzt wurde. Das zwingende Moment
ist die schlichte Tatsache, dass
solche Waffen eingesetzt werden. Der gute Bürger unserer zivilen Gesellschaft
hat damit aber wenig am Hut. Syrien ist weit weg und man selbst nicht in
Gefahr. Deshalb hält er seine Siebensachen zusammen, schnappt sich eine
Chipstüte und dreht einfach die Musik lauter.