Sonntag, 9. Februar 2014

Im Westen nichts Neues. Oder doch?

Quelle: kungfutius.blog.de
Mein letzter Eintrag liegt schon ein wenig zurück. Das liegt nicht daran, dass alles bereits gesagt wäre – ganz im Gegenteil. Eine Begegnung mit der Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin Seyran Ates öffnete mir Türen zu neuen Gedankengängen und einer neuen Sichtweise auf das Kopftuch. Viel Zeit habe ich damit verbracht, meine eigene Ansicht und die Motivation hinter diesem Weltbild zu hinterfragen und justierte so meinen Standpunkt nicht gänzlich neu, aber doch deutlich anders – ohne Frau Ates Einstellung unreflektiert zu übernehmen.

Das entscheidende Moment für mich ist die Erkenntnis, dass ich zwei Dinge nicht sauber voneinander getrennt bzw. mir eine Frage selbst nicht ausreichend klar beantwortet habe: Die Frage nach dem Warum. Warum bin ich für das Tragen eines Kopftuches? Ich habe dies in den vorangegangenen Texten und in den Social Media Kanälen zwar bereits detailliert begründet, mich aber darin auch verloren. Denn: Stark heruntergebrochen beruht meine Einstellung auf dem Weltverständnis des Credos, alle Menschen sind gleich. Ich verabscheue Rassismus und die Diskriminierung von Menschen und Gruppen, die nicht ins eigene Weltbild passen möchte oder Befindlichkeiten stören. Jeder muss unumstößlich das Recht haben, tun und lassen zu können, was er möchte. Das gilt zumindest solange, wie kein anderer seelisch, körperlich oder in seinem Recht verletzt wird. Dafür stehe ich ein und dafür kämpfe ich.

Ich bin also gar nicht für das Kopftuch, sondern gegen Diskriminierung. Und deshalb sollen Frauen in Deutschland das Kopftuch tragen dürfen; natürlich unter der Prämisse, wenn sie es denn möchten. So weit so gut. Zu Ende gedacht? Leider nein.

Ich habe bereits ausgeführt, dass in Deutschland besonders in den Städten das Anlegen eines Kopftuches oftmals eine selbstbestimmte Handlung ist. Das glaube ich immer noch, auch wenn ich mir über die Ausnahmen durchaus im Klaren bin. Dennoch impliziert das Kopftuch folgende Botschaft über die Trägerin: Ich bin eine Frau, ich bin „das andere Geschlecht“, ich bin schwach und muss meine Haare als sexuellen Anreiz vor dem Mann verbergen. Am 3. Januar schrieb ich: „[…] Wir tragen ein Kopftuch zum Schutz. Es gibt mir Sicherheit. Ich verstehe nicht, was daran falsch sein soll.‘ Zu behaupten, dass solche sexuellen Übergriffe in Deutschland zwar möglich sind und vorkommen, jedoch keineswegs vergleichbar mit denen in Pakistan, Ägypten oder Iran sind, würde von der überhöhten Einschätzung der „zivilisierten“ westlichen Kultur zeugen, die sie bereits zu Kolonialzeiten zur Schau gestellt hat. Auch in Deutschland herrscht in vielen Köpfen noch die Höherstellung des Mannes gegenüber der Frau vor und auch hier glauben noch zu viele, Mann dürfe sich nehmen was gefällt.“  

Bislang kam ich zu dem Schluss, dass dieses empfundene Schutzgefühl doch ein legitimer Grund sei. Ich habe mich geirrt. Meine Argumentation beruht auf der Ansicht, dass nicht die Frau mit dem Kopftuch zu hinterfragen ist, sondern die Gesellschaft, in der ein solcher Schutz überhaupt erst benötigt wird. Das stimmt und davon weiche ich nicht ab. Ates sieht das genauso, zieht aber andere Konsequenzen. Sie fasst das Dilemma so zusammen:Das Kopftuch […] steht nicht für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Da mögen sich die "Feministinnen" mit Kopftuch noch so verbiegen in ihrer Argumentation; sie können es noch so modern und bunt binden und sich darunter noch so erotisch und sexy kleiden. Das Kopftuch ist die Flagge der Trennung der Geschlechter und der "Andersartigkeit", sprich Minderwertigkeit der Frauen. Es teilt Mädchen und Frauen in gute und schlechte. Da hilft es auch nicht, wenn die Kopftuchträgerinnen immer wieder runter beten, Männer und Frauen seien vor Gott gleichwertig. Gleichwertig bedeutet eben nicht gleichberechtigt.“ Das Patriarchat mit den Waffen der Männer zu bekämpfen, ist also genauso wirksam, wie dem Lungenkrebs mit einer Schachtel Zigaretten am Tag trotzen zu wollen: vollkommen wirkungslos und inkonsequent. 

Viele Menschen in Deutschland kritisieren das Kopftuch, weil es „aus dem Islam“ stammt, weil sie sich von der „fremden“ anderen Kultur bedroht und sich selbst zurückgesetzt fühlen. Einer solchen Diskriminierung entgegenstellend, verlor ich die Argumente aus den Augen, die wirklich gegen ein Kopftuch sprechen: Die Anerkennung der Frau als dem Mann gleichwertiges Geschlecht, sowohl in der Religion, als auch in der Gesellschaft. Das ist natürlich allgemein gültig und nicht allein auf den Islam gemünzt. Aber was bringt mir die Erkenntnis? Reiße ich zukünftig den Frauen ihre Kopftücher vom Haupt? Mitnichten. Solange christliche Krankenhäuser die Untersuchung von Vergewaltigungsopfern ablehnen, Frauen die Priesterweihe verwehrt wird, Empfängnisverhütung geächtet und geschiedene, unverheiratete Frauen ausgeschlossen und benachteiligt werden, hat keiner ein Recht, auf den Islam und das Kopftuch zu zeigen. 

Und nun? Alles beim Alten belassen und über die Missstände hinwegschauen, weil auch die eigene Kultur in einer gleichen Schieflage ist? Keinesfalls! Das Kopftuch ist "nur" ein weiteres Puzzlestück patriarchalischer Strukturen, die nicht nur in der Religion, sondern auch in der Gesellschaft gegeben sind. Damit ist es nicht nur Teil einer religiösen, sondern auch einer politischen Debatte. Auf dieser Basis und mit deren Mitteln gilt es einzugreifen und die Fesseln zu lösen – in der Religion, der Gesellschaft, in den Köpfen der Menschen. Wenn das erreicht ist, stellt sich die Frage nach einem Kopftuchverbot nicht mehr.

2 Kommentare:

  1. "Das Kopftuch ist "nur" ein weiteres Puzzlestück patriarchalischer Strukturen, die nicht nur in der Religion, sondern auch in der Gesellschaft gegeben sind."

    Das ist einfach falsch. In den westlichen Gesellschaften gibt es kein Kopftuch und dennoch sind auch noch patriarchalische Strukturen erkennbar, die durch diese Kopftuchdebatte verschleiert werden. Wir kommen dabei einfach besser weg, wenn es gelingt über das Kopftuch den anderen doch ihre Rückständigkeit vor Augen zu führen. Es ist nicht Aufgabe religöse Inhalte zu hinterfragen und abzuwägen, sondern es Menschen zu ermöglichen in freier Selbstbestimmung ihrer jeweiligen Weltanschauung zu folgen, ohne dafür diskriminiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden.
    Oder mal ganz platt ausgedrückt. Wenn eine Frau nicht Papst werden kann, mit welchem Recht können wir ihr dann das Kopftuch verbieten?

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  2. Hallo.

    Vielen Dank für das Feedback und die kritische Hinterfragung. Allerdings ist die Botschaft meines Satzes/Textes eigentlich genau das, was du argumentativ gegen meine Aussage verwendest. Ich habe nicht vor, religiöse Inhalte zu hinterfragen, sondern kritisiere die patriarchalischen Strukturen, die nicht einzig auf den Islam zutreffen, sondern u.a. eben auch auf das Christentum. Und das ist ja die Religion, die uns hier geprägt hat. Und wenn wir nach einer Frauenquote schreien, aber eine Frau nicht Päpstin oder Priesterin werden darf oder man an Krankenhäusern abgewiesen wird, Arbeitsplätze verwehrt bleiben, ist das ein gesellschaftliches Problem hier bei uns. Und genau das muss angegangen werden. Deshalb schrieb ich auch: "Solange christliche Krankenhäuser die Untersuchung von Vergewaltigungsopfern ablehnen, Frauen die Priesterweihe verwehrt wird, Empfängnisverhütung geächtet und geschiedene, unverheiratete Frauen ausgeschlossen und benachteiligt werden, hat keiner ein Recht, auf den Islam und das Kopftuch zu zeigen." Das Kopftuch ist eben ein Teil davon, weil der Islam ein Teil von uns ist - denn Muslime leben mit uns hier.

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