Sonntag, 12. Januar 2014

„Wir müssen in Deutschland sozial zusammenwachsen.“


Als ich mein Kopftuch am Neujahrsmorgen anlege, trage ich es ganze fünf Minuten, ehe ich es wieder ablegen muss. „Das kannst du in Köln machen, aber nicht in meinem Haus“, werde ich sehr bestimmt darauf hingewiesen, dass es in diesen vier Wänden keinesfalls geduldet wird. Ich füge mich. Nicht weil ich die Konfrontation scheue, sondern weil es sich nicht gegen Muslima richtet, sondern vielmehr das Unverständnis mir gegenüber ausdrückt. Muslima, ob mit oder ohne Kopftuch, sind willkommen. Akzeptiert als Teil ihrer Religion werden sie gerne im Haus empfangen, so die Aussage. Ich aber, als nichtgläubige Frau habe dieses Privileg nicht. Mein Anliegen zählt nicht. Damit kann ich in diesem Moment leben, denn: Es ist eine Reaktion. Und es ist eine Reaktion, die mich zu einer weiteren, nicht ganz unwichtigen Frage führt: Wie positionieren sich Muslime zu meinem Kopftuch, das nicht Ausdruck meiner Religion, sondern vielmehr meiner Anerkennung, Sympathie und Freundschaft ist. Erreicht diese Botschaft die Muslime oder verletzt das Tragen einer islamischen Kopfbedeckung durch eine Ungläubige das religiöse Ehrgefühl?

Erste Antworten finde ich am vergangenen Freitag. Ich treffe mich mit meiner Freundin. Zusammen wollen wir herausfinden, wie ausgehtauglich das Kopftuch ist. In einer mexikanischen Bar bestelle ich bei einem sehr netten, gutaussehenden und zuvorkommenden Kellner ein „Sausalitos Fresh Lemon“. Der Name verschleiert das Wesen des Getränks. Es ist ein extra für die Bar hergestelltes Bier mit Zitronenflavour – so steht es in der Karte. Freundlich weist der junge Kellner mich darauf hin, nimmt die Bekräftigung meiner Bestellung aber locker und ohne Einwände entgegen. Wenige Minuten später  halte ich mein Getränk in den Händen. Ich bin dem jungen Mann sehr dankbar für seine Reaktion, weil sie mehrere Botschaften enthält. 1. Die Tatsache, dass ich ein Kopftuch trage, ändert nichts an seinem Umgang mit mir: Er ist so freundlich und locker, wie an jedem anderen Tisch auch. 2. Er geht auf mich und mein Kopftuch ein und weist mich auf den Alkoholgehalt im Getränk hin. Damit offenbart er nicht nur Akzeptanz für mein Kopftuch und die damit eigentlich zugrundeliegenden Werte und Doktrinen, sondern zeigt sich 3. mit meiner Entscheidung als „Muslima“ trotzdem Alkohol trinken zu wollen, konform. Dabei ist der junge Mann selbst ein Muslim.

Der zweite Kellner des Abends ist ebenfalls ein Muslim – nicht minder nett, sehr herzlich und für jeden Spaß zu haben. Wir verstehen uns gut, schäkern und sind uns sympathisch. Beim Abkassieren schaut er mich unvermittelt an und offenbart, was ihn offensichtlich seit unserem Erscheinen beschäftigt hatte: Die Frage nach meiner Motivation. Es ist ihm ein wenig unangenehm zu fragen, daher bekräftigt er immer wieder, mir nicht zu nahe treten zu wollen. Ich freue mich über sein ehrliches Interesse und berichte von meinem Versuch, meiner Motivation und ersten Erfahrungen. Er ist beeindruckt und erzählt seinerseits von einer Reportage über eine Journalistin, die er einst gesehen hat. Diese hatte das Kopftuch aus ähnlichem Grund getragen, aber bereits nach einer Woche aufgegeben, weil „sie die Blicke nicht mehr ertragen konnte.“ Soweit bin ich nicht. Auch wenn die drei Mädels, die aus Platzmangel mit uns an einen Tisch gesetzt wurden und selbst muslimisch, wenngleich auch ohne Kopftuch sind, keinerlei positive Energie in unsere Richtung frei lassen. Missmutig und stumm sitzen sie neben uns und bringen nicht einmal ein Lächeln zustande, als ich ihnen die Getränkekarten rüberreiche. Ob es an meinem Äußeren liegt, kann ich nicht beurteilen. Unwohl fühle ich mich dennoch nicht – meine Freundin und ich haben, auch dank der zwei Kellner, genügend positive Energie.

Wir verlassen das Lokal, wollen raus ins Getümmel und weiterziehen. Bereits im Vorfeld hatte ein Kollege meiner Freundin Sorgen geäußert, mit Kopftuch über die Kölner Ringe zu flanieren. Zu gefährlich hielt er die Idee, schließlich sei die Reaktion der Muslime nicht berechenbar. Seine Sorge zeigte sich unbegründet, spiegelt aber das durch Islamisten und die Medien gezeichnete Bild von religionsfanatischen, wenig toleranten und gewaltbereiten Muslimen wieder. Aber: Islamistisch und islamisch ist nicht dasselbe! Seine Sorgen bestätigen sich dementsprechend nicht, wenngleich die allgemeine Resonanz groß ist: Die Menschen schauen mich an, tuscheln, manche gaffen. Mir fällt es nur bedingt auf – dass ich angesehen werde, kenne ich spätestens seit ich mir einst die Haare blau und grün färbte nur zu gut. Auch sonst ernte ich mit meinen langen blonden Haaren, engen Jeans und knappen Tops in der Regel Blicke, die jetzigen sind aber keineswegs sexuell motiviert, sondern zeugen von Neugier, Unverständnis und  Unglauben. Selbst als zwei junge Männer sich zeitgleich ein zweites Mal nach mir umdrehen und dabei stolpern, fällt es nicht mir, sondern meiner Begleitung auf. Dabei stehen diese Reaktionen im Kontrast zu den Äußerungen der Menschen, mit denen wir direkt sprechen. Beeindruckt zeigen sie sich, sind begeistert, interessiert und finden mich mutig. Einige von ihnen kennen wir, einige nicht. Sie alle gehören aber zu einer Gruppe vor einer Bar, die untereinander befreundet sind und teilen daher einige grundsätzliche Weltansichten.

Dennoch klafft diese große Lücke zwischen dem unkommentierten Auftritt auf der Straße und der unmittelbaren Konfrontation in Form einer Unterhaltung. Ich beschließe, künftig nicht mehr von meinem Versuch zu erzählen, sondern die wahren Gründe für mein Kopftuch zu verhüllen. Die nächste Gelegenheit dazu taucht spontan auf: Ein Obdachloser spricht uns auf der Straße an und bittet um Kleingeld. Als ich ihm zwei Euro in die Hand drücke, fällt ihm meine Kopfbedeckung erst richtig auf. Ich bejahe seine Frage, ob ich aus religiösen Gründen die Kopfbedeckung trage und berichte konvertiert zu sein. Mit einem Lächeln ergreift der obdachlose, mitten in der nächtlichen Kälte umherziehender, mittelloser älterer Mann meine Hand, schüttelt sie und sagt den einen richtigen Satz: „Wir müssen in Deutschland endlich sozial zusammenwachsen.“        

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