Als ich mein Kopftuch am Neujahrsmorgen anlege, trage ich es
ganze fünf Minuten, ehe ich es wieder ablegen muss. „Das kannst du in Köln
machen, aber nicht in meinem Haus“, werde ich sehr bestimmt darauf hingewiesen,
dass es in diesen vier Wänden keinesfalls geduldet wird. Ich füge mich. Nicht
weil ich die Konfrontation scheue, sondern weil es sich nicht gegen Muslima
richtet, sondern vielmehr das Unverständnis mir gegenüber ausdrückt. Muslima,
ob mit oder ohne Kopftuch, sind willkommen. Akzeptiert als Teil ihrer Religion
werden sie gerne im Haus empfangen, so die Aussage. Ich aber, als nichtgläubige
Frau habe dieses Privileg nicht. Mein Anliegen zählt nicht. Damit kann ich in
diesem Moment leben, denn: Es ist eine Reaktion. Und es ist eine Reaktion, die mich
zu einer weiteren, nicht ganz unwichtigen Frage führt: Wie positionieren sich
Muslime zu meinem Kopftuch, das nicht Ausdruck meiner Religion, sondern vielmehr
meiner Anerkennung, Sympathie und Freundschaft ist. Erreicht diese Botschaft die
Muslime oder verletzt das Tragen einer islamischen Kopfbedeckung durch eine
Ungläubige das religiöse Ehrgefühl?
Erste Antworten finde ich am vergangenen Freitag. Ich treffe
mich mit meiner Freundin. Zusammen wollen wir herausfinden, wie ausgehtauglich
das Kopftuch ist. In einer mexikanischen Bar bestelle ich bei einem sehr
netten, gutaussehenden und zuvorkommenden Kellner ein „Sausalitos Fresh Lemon“.
Der Name verschleiert das Wesen des Getränks. Es ist ein extra für die Bar
hergestelltes Bier mit Zitronenflavour – so steht es in der Karte. Freundlich
weist der junge Kellner mich darauf hin, nimmt die Bekräftigung meiner
Bestellung aber locker und ohne Einwände entgegen. Wenige Minuten später halte ich mein Getränk in den Händen. Ich bin
dem jungen Mann sehr dankbar für seine Reaktion, weil sie mehrere Botschaften
enthält. 1. Die Tatsache, dass ich ein Kopftuch trage, ändert nichts an seinem
Umgang mit mir: Er ist so freundlich und locker, wie an jedem anderen Tisch
auch. 2. Er geht auf mich und mein Kopftuch ein und weist mich auf den Alkoholgehalt
im Getränk hin. Damit offenbart er nicht nur Akzeptanz für mein Kopftuch und
die damit eigentlich zugrundeliegenden Werte und Doktrinen, sondern zeigt sich
3. mit meiner Entscheidung als „Muslima“ trotzdem Alkohol trinken zu wollen,
konform. Dabei ist der junge Mann selbst ein Muslim.
Der zweite Kellner des Abends ist ebenfalls ein Muslim –
nicht minder nett, sehr herzlich und für jeden Spaß zu haben. Wir verstehen uns
gut, schäkern und sind uns sympathisch. Beim Abkassieren schaut er mich unvermittelt
an und offenbart, was ihn offensichtlich seit unserem Erscheinen beschäftigt
hatte: Die Frage nach meiner Motivation. Es ist ihm ein wenig unangenehm zu
fragen, daher bekräftigt er immer wieder, mir nicht zu nahe treten zu wollen.
Ich freue mich über sein ehrliches Interesse und berichte von meinem Versuch,
meiner Motivation und ersten Erfahrungen. Er ist beeindruckt und erzählt
seinerseits von einer Reportage über eine Journalistin, die er einst gesehen
hat. Diese hatte das Kopftuch aus ähnlichem Grund getragen, aber bereits nach
einer Woche aufgegeben, weil „sie die Blicke nicht mehr ertragen konnte.“ Soweit
bin ich nicht. Auch wenn die drei Mädels, die aus Platzmangel mit uns an einen
Tisch gesetzt wurden und selbst muslimisch, wenngleich auch ohne Kopftuch sind,
keinerlei positive Energie in unsere Richtung frei lassen. Missmutig und stumm
sitzen sie neben uns und bringen nicht einmal ein Lächeln zustande, als ich
ihnen die Getränkekarten rüberreiche. Ob es an meinem Äußeren liegt, kann ich
nicht beurteilen. Unwohl fühle ich mich dennoch nicht – meine Freundin und ich
haben, auch dank der zwei Kellner, genügend positive Energie.
Wir verlassen das Lokal, wollen raus ins Getümmel und
weiterziehen. Bereits im Vorfeld hatte ein Kollege meiner Freundin Sorgen
geäußert, mit Kopftuch über die Kölner Ringe zu flanieren. Zu gefährlich hielt
er die Idee, schließlich sei die Reaktion der Muslime nicht berechenbar. Seine
Sorge zeigte sich unbegründet, spiegelt aber das durch Islamisten und die
Medien gezeichnete Bild von religionsfanatischen, wenig toleranten und gewaltbereiten
Muslimen wieder. Aber: Islamistisch und islamisch ist nicht dasselbe! Seine
Sorgen bestätigen sich dementsprechend nicht, wenngleich die allgemeine
Resonanz groß ist: Die Menschen schauen mich an, tuscheln, manche gaffen. Mir
fällt es nur bedingt auf – dass ich angesehen werde, kenne ich spätestens seit
ich mir einst die Haare blau und grün färbte nur zu gut. Auch sonst ernte ich
mit meinen langen blonden Haaren, engen Jeans und knappen Tops in der Regel
Blicke, die jetzigen sind aber keineswegs sexuell motiviert, sondern zeugen von
Neugier, Unverständnis und Unglauben.
Selbst als zwei junge Männer sich zeitgleich ein zweites Mal nach mir umdrehen
und dabei stolpern, fällt es nicht mir, sondern meiner Begleitung auf. Dabei
stehen diese Reaktionen im Kontrast zu den Äußerungen der Menschen, mit denen
wir direkt sprechen. Beeindruckt zeigen sie sich, sind begeistert, interessiert
und finden mich mutig. Einige von ihnen kennen wir, einige nicht. Sie alle
gehören aber zu einer Gruppe vor einer Bar, die untereinander befreundet sind
und teilen daher einige grundsätzliche Weltansichten.
Dennoch klafft diese große Lücke zwischen dem
unkommentierten Auftritt auf der Straße und der unmittelbaren Konfrontation in
Form einer Unterhaltung. Ich beschließe, künftig nicht mehr von meinem Versuch
zu erzählen, sondern die wahren Gründe für mein Kopftuch zu verhüllen. Die
nächste Gelegenheit dazu taucht spontan auf: Ein Obdachloser spricht uns auf
der Straße an und bittet um Kleingeld. Als ich ihm zwei Euro in die Hand
drücke, fällt ihm meine Kopfbedeckung erst richtig auf. Ich bejahe seine Frage,
ob ich aus religiösen Gründen die Kopfbedeckung trage und berichte konvertiert
zu sein. Mit einem Lächeln ergreift der obdachlose, mitten in der nächtlichen
Kälte umherziehender, mittelloser älterer Mann meine Hand, schüttelt sie und sagt
den einen richtigen Satz: „Wir müssen in Deutschland endlich sozial
zusammenwachsen.“
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