Sonntag, 5. Januar 2014

„Kein Mensch muss müssen.“ – Nathan der Weise


Das Wort khimar (von dem khumur die Mehrzahl ist) bezeichnet die der Sitte von den arabischen Frauen vor und nach der Ankunft des Islam gebrauchte Kopfbedeckung. Nach den meisten klassischen Kommentatoren wurde sie in der vorislamischen Zeit mehr oder weniger als Schmuck getragen und lose über dem Nacken der Trägerin heruntergelassen, und da in Übereinstimmung mit der zu dieser Zeit vorherrschenden Mode das Oberteil des Frauengewandes vorn eine weite Öffnung hatte, waren ihre Brüste unbedeckt. Daher bezieht sich die Anweisung, den Busen mit einem khimar zu bedecken, nicht notwendigerweise auf den Gebrauch eines khimar als solchen, sondern soll vielmehr klarmachen, dass die Brüste der Frau nicht in die Vorstellung dessen einbezogen sind, was von ihrem Körper schicklicherweise sichtbar sein mag und deshalb nicht gezeigt werden sollte.“(Muhamad Asad, islamischer Gelehrte und Korrespondent der Frankfurter Zeitung: Die Botschaft des Koran, S. 677).

Was also als Schmuck und Zeichen eines sozialen Status (Sklavinnen, Arbeiterinnen und Dirnen war es verboten, sich zu verschleiern) begann, etablierte sich im Laufe der Zeit als Gebot für Muslima und hält seither eine 14 Jahrhunderte währende Tradition.

Als ich mein Kopftuch das erste Mal anziehe, lege ich gleichzeitig meinen Schmuck ab. Meine Piercings, die ich bis dato im Gesicht getragen habe, sind nun weg. Mein Spiegelbild zeigt mir ein ungewohntes Gesicht. Es ist mir nicht fremd, aber geschmückt fühle ich mich auch nicht. Für das Kopftuch habe ich einen Teil meiner Identität oder das, was ich damit verbinde, aufgegeben. Ich gefalle mir dennoch. Bei Frauen mit Kopftüchern faszinieren mich zumeist die Ausstrahlung ihrer Augen und die schön geschwungenen Augenbrauen, die ihnen im Zusammenspiel eine eigene Attraktivität geben. Auch meine blauen Augen leuchten auf einmal im Kontrast zu dem schwarzen Tuch, das mein Gesicht nun einrahmt, auf und ziehen die Blicke an. Nichts mehr zu sehen ist nun allerdings von meinen blonden Haaren, die ich doch gerade erst frisch hatte nachfärben lassen, meinen schönen Ohrringen oder meinem Dekolletés, sofern ich denn eins hätte. All das ist verschwunden. Stattdessen konzentriert sich nun alles auf mein Gesicht. Das kann Fluch und Segen sein. Ich empfinde mich selbst meistens als schön, nun wirke ich sehr blass und mein Gesicht ein wenig gedrungen, was ich mit etwas mehr Schminke als sonst zu richten versuche. Dennoch fühle ich mich insgesamt wohl, auch wenn mir mein Schmuck fehlt. Dafür habe ich nun neuen. Es gibt schließlich tolle Kopftücher mit Verzierungen, mit Perlen und in allen Formen und Farben. Dass ich ausgerechnet ein schlichtes schwarzes nehmen musste, ist meine eigene Schuld.

Wenn eine mir nahestehende Person, nennen wir sie Julia (Name geändert), also sagt: „Wenn jemand ein Kopftuch trägt, weil sie sich damit schmückt, ist das kein Problem“, ist damit dann das Kopftuch für sie legitimiert? Mitnichten. Auch sie erkennt die Tatsache an, dass es hübsche Tücher gibt, dennoch ist für sie das Kopftuch nach wie vor unweigerlich mit einer Form von Unterdrückung verbunden. Die einzige Legitimation, die sie zulässt, ist, wenn eine Frau aus freien Stücken möchte, dass nur ihr Mann sie unverhüllt sehen darf, „wenn es für sie etwas Besonderes ist.“ Gleichzeitig spricht sie eine solche freie Entscheidung den Trägerinnen aber ab, ihre kulturelle Prägung kann ihrer Ansicht nach eine solche Selbstbestimmtheit gar nicht zulassen. Das sehe ich anders.

Eine Frau im Hundepark sprach mich an, ob ich konvertiert sei. Sie hatte nicht mein europäisches Äußeres neugierig gemacht, sondern vielmehr die Tatsache, dass ich mich durch mein Kopftuch islamisch präsentiere, gleichzeitig aber Hundehalterin bin. Der Hund ist im Islam zwar nicht verboten, gilt allerdings als unrein und erfährt damit wenig Popularität unter Muslimen. Sofern ein Hund gehalten wird, lebt dieser in der Regel draußen, außerhalb des Hauses, um den Gebetsort nicht zu beschmutzen. Meine Absichten interessierten sie sehr und im Gespräch erzählte sie mir von einer Freundin, Fatima, die selbst Mutter zweier 13 und 15 Jahre alter Töchter ist. Sie selbst trägt ein Kopftuch, aus eigenem Wunsch, ihre beiden Töchter jedoch lässt sie frei wählen. Beide haben sich dagegen entschieden. Auch Nachmittage mit Freundinnen im Schwimmbad oder Saunabesuche (Kinder dürfen generell nur mir Frauen saunieren) unterbindet sie nicht, selbst geht sie jedoch nur zu den monatlich stattfindenden Saunatagen für Muslimas.

Es wäre fahrlässig zu behaupten, dass Fatima nicht aufgrund ihrer kulturellen Prägung ein Kopftuch trägt. An der Tatsache lässt sich nichts rütteln. Das bedeutet aber nicht unweigerlich, dass sie nicht anders handeln kann. Das sieht man an ihren Kindern. Natürlich sind diese auch zum Teil westlich geprägt – sie wachsen hier in Deutschland auf. Ersetzt wird dadurch die islamische Prägung aber nicht. Allenfalls erweitert. Ein einzelnes Beispiel, das Julias Theorie ins Wanken bringt. Nicht für sie. Dabei bin ich selbst das beste Beispiel dafür. Ich bin das Kind einer deutschen, zum Teil stark katholisch geprägten Familie, das eine entsprechende Erziehung genossen hat und in Deutschland groß geworden ist. Dennoch pflege ich Gedankengänge, die sich gegen das traditionelle Selbstverständnis dieser Kultur richten – sie zumindest nicht unreflektiert weitertragen. Die Angst vor fremden Kulturen, Religionen und ihren Praktiken, auf die sich die Vormachtstellung der westlichen Welt seit jeher begründet, ist mir fremd. Ein Lösen von traditionellen, vorgelebten und kulturell geprägten Denkmustern und Handlungen ist also grundsätzlich möglich.

Dementsprechend führten wir die Diskussion zum Thema sehr hitzig und laut. Sie endete abrupt im resignierten Auflegen des Hörers meinerseits – müde von den sich im Kreis drehenden Worttänzen. Julia dürfte mir dafür sehr dankbar gewesen sein. Was mir missfällt an ihrer Haltung, ist nicht nur die Prämisse, Unterdrückung sei die Mutter des Kopftuchs. Mich ärgert besonders die Ignoranz gegenüber anderen Ansätzen, anderer Denkweisen. Ich spreche keinesfalls ab, dass es fremdbestimmt Trägerinnen gibt. Genauso gibt es selbstbestimmte Prostituierte, ob man das glauben mag oder nicht. Aber es ist das Phänomen, alle über einen Kamm zu scheren, das ich nicht akzeptieren kann. Denn woran erkenne ich eine fremd- von einer selbstbestimmten Kopftuch-Trägerin? Daran, dass erstere hinter dem Mann läuft? Wohl kaum. Julias Reaktion und Haltung repräsentiert die der Gesellschaft. Sie feindet Kopftuchträgerinnen nicht an. Auch mir ist das in meinem Versuch bisher noch nicht passiert. Hinter der Stirn erfahren sie dennoch einen Stempel. Den der sich Beugenden, der Abhängigen, der Untergebenen, aufbauend auf eine Kultur, die sich gegen die Frau zu richten scheint.

Die Frage, ob sie damit nicht eigentlich ein Opfer, nämlich das der in der westlichen Kultur verhafteten Ansichten ist, stellt sie sich leider nicht.  

2 Kommentare:

  1. "Den der sich Beugenden, der Abhängigen, der Untergebenen, aufbauend auf eine Kultur, die sich gegen die Frau zu richten scheint."

    Richtet sich unsere Kultur auch gegen die Frau? Wenn sie nicht bereit ist alles mitzumachen, den Schönheitsidealen zu genügen, der Body nicht der vorgebenen Norm entspricht. Eine Norm, die in Photosphop künstlich erschaffen wird und der nichtmal mehr die Models auf den Laufstegen mehr genügen können. Und alles damit sie Umsatzsklavinnen einer auf sie spezialisierten Industrie bleiben. Damit diese Anhänigkeit nicht so offensichtlich wird, erzeugt man den sozialen Abwärtsvergleich und führt die undrückte Muslima mit ihrem Kopftuch vor.

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  2. Definitiv! Da stimme ich dir zu! Ich wollte mich aber primär mit dem Kopftuch befassen. Weil es eben ein anderer Ausdruck einer gleichen Sache ist. Die Konventionen unserer westlichen Gesellschaft, die uns Frauen aufgrdrückt werden (sollen), kenne ich ja zur genüge. Ich weiß, wie sich das anfühlt, habe einen Standpunkt dazu, weil ich es ja am eigenen Leib erfahre. Das Kopftuch kannte ich ja nur als Aussenstehende.

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